Ich habe viele wundervolle und erfolgreiche Freundinnen, jedoch ist Selina Lux sicherlich eine der kreativsten. Selina hat Literaturwissenschaften und Deutsche Philologie studiert und hat bereits mit 17 ihr erstes Buch publiziert. Nun widmet sie sich dem Journalismus an der Freie Journalistenschule und verfasst Artikel, wie diesen. Anfang des Jahres hat Selina mich um ein Interview für einen ihrer Arbeiten gebeten und ich habe sofort zugesagt, da ich weiß wie begabt sie ist und das es ohne Zweifel ein gelungener Artikel wird.
Selina hat mir nun erlaubt ihren Artikel hier zu veröffentlichen.

“Das Berliner T.rex Skelett verlässt das Naturkundemuseum für ein ganzes Jahr. Eine Paläontologin verabschiedet sich von ihm.

Scheinbar ist es in der Bewegung erstarrt, das Skelett von Tristan Otto, dem Tyrannosaurus rex, wie es sich um die Säulen des hohen Raumes windet, mitten in der Verfolgung eines unsichtbaren Beutetieres, das Maul mit den langen Zähnen zum Angriff weit geöffnet. Der Saal ist in Dämmerlicht gehüllt, nur Tristan wird hell beleuchtet und schwarze Schattenmuster malen sich an die Wand, schwarz, so wie die Knochen selbst. „Tristan ist das einzige schwarze T.rex Skelett auf der Welt.“, sagt Franziska Sattler. „Das kommt durch die Färbung des umliegenden Gesteins, in dem die Knochen eingeschlossen waren. Das war eben schwarz.“

Selina Lux, Autorin & angehende Journalistin

Die Paläontologin Franzi, wie sie sich vorstellt, hat in ihrer Heimatstadt Berlin Evolutionsbiologie studiert und ist seit 2009 wissenschaftliche Mitarbeiterin des Naturkundemuseums, wie der Ausweis beweist, den sie an einem Band um den Hals trägt und der vor ihrer weinroten Bluse baumelt.

Die 31-Jährige streicht sich das kurze, braune Haar hinter das mehrfach gepiercte Ohr und streckt dann die Hand aus, um mit dem Zeigefinger auf den gewaltigen Kiefer über ihr zu deuten. „Siehst du den Buckel dort?“

Dieser ist jedoch nicht so leicht zu erkennen, also geht Franzi zu einer Glasvitrine in der Ecke des Saals, in dem der Schädel noch einmal separat vom Skelett ruht. Dies ist das Original des Schädels, der für seine circa 66 Millionen Jahre erstaunlich gut erhalten ist: 50 der 55 zugehörigen Knochenteile wurden gefunden. „Das Original ist zu schwer, um vom richtigen Skelett drüben gehalten zu werden.“, erklärt sie.

Durch das Glas ist die Beule am Unterkiefer nun leicht zu erkennen. „Es war wahrscheinlich kein Tumor, denn der hätte das umliegende Gewebe zerstört, was man am Knochen gesehen hätte. Aber der ist intakt. Diese Schwellung kann eine Entzündung gewesen sein, die Tristan große Schmerzen und vielleicht auch Schwierigkeiten beim Fressen verursacht hat. Das Tier war auch nicht ausgewachsen. Das könnte also sogar seine Todesursache gewesen sein.“

Nicht weit vom Schädel steht eine Säule mit einem Bildschirm, auf dem ein stummes Video mit Text abgespielt wird. Protagonistin: Franziska Sattler. Der kleine Film erklärt den Begriff der Taphonomie. „Also alles ab dem Tod des Tieres bis hin zum Finden“, fasst sie mit einer knappen Handbewegung zusammen.

Ihre verkleinerte Bildschirmversion ist ganz in schwarz gekleidet und trägt einen strengen Zopf. Der Fundort von Tristans Knochen wird zwischendurch eingeblendet, dann sieht man wieder Franzi, die auf einen virtuellen Knochen deutet. Die echte Franzi in Rot muss lachen. „Das war vor einem Green Screen im Studio. So etwas habe ich vorher noch nie gemacht.“ Ihre Tonfall wirkt gespielt empört. „Da habe ich extra den Text auswendig gelernt und dann gab es Karten zum Ablesen und das Video hat noch nicht einmal Ton. Und mir hat keiner gesagt, dass mein ganzer Körper zu sehen sein wird, sonst hätte ich keine zerrissenen Jeans getragen.“

Doch sie ist der Ausgrabungsstätte nicht nur durch einen Green Screen nahe gekommen. 2015 war sie leibhaftig vor Ort, im US-amerikanischen Montana, wo die Knochen freigelegt wurden. Zwar war der T.rex zu diesem Zeitpunkt bereits ausgegraben, doch hat sie mit ihrem Team einen Triceratops und Fischzähne gefunden. Ihre eigentliche Forschungsarbeit begann jedoch später, zurück in Berlin, wo sie Tristans Zähne genauer unter die Lupe genommen hat. Und warum gerade die Zähne? Franzi zuckt mit den Schultern. „Das ist mein spezielles Interessengebiet. Anhand der Zähne kann man zum Beispiel auch etwas über die Nahrung der Tiere erfahren.“

In einem kleinen Café nahe des Museums bestellt sie sich ein belegtes Brötchen, einen großen Kaffee und natürlich, den Namensvetter, ein Franzbrötchen. Von der Geräuschkulisse der umliegenden, voll gepackten Tische lässt sie sich nicht beirren und zeichnet seelenruhig unterschiedlich große Zacken auf ein Blatt Papier, während Wortfetzen in Deutsch und Englisch durch den Raum wabern, sowie der Geruch nach gerösteten Bohnen. „Tristan hatte alle zwei bis drei Jahre einen Zahnwechsel.“ Dabei verlor er nicht alle Zähne auf einmal, sondern zu unterschiedlichen Zeiten, wodurch seine Zähne, wie in ihrer Zeichnung, nicht allesamt die gleiche Länge besaßen. „Dinosaurier hatten keine Zahnwurzeln, so wie wir, da war so ein Wechsel unkomplizierter. Das kann man sich so ähnlich vorstellen wie bei einem Krokodil.“

Für ihre Forschung hat sie ausschließlich am PC gearbeitet, wie sie erzählt. „Die Zähne und die beiden Kiefer wurden komplett eingescannt und mit einer speziellen Software konnte ich dann jederzeit die Zahnreihen abarbeiten. Da Tristans Schädel besonders gut erhalten ist, kann man den Zahnwechsel sehr gut erforschen.“

Nun ist Tristans Zeit in Berlin aber vorerst vorbei. „Er geht wegen Renovierungsarbeiten im Museum für ein Jahr nach Kopenhagen“, sagt Franzi wehmütig. „Das ist für mich schon irgendwie komisch, nachdem ich so viel mit ihm zu tun hatte.“ In Kopenhagen lebt einer seiner Besitzer und Namensgeber. Doch obwohl Tristan Otto sehr männlich klingt, stammt das Skelett tatsächlich von einem Weibchen, wie Franzi verrät.

Vor der Reise nach Dänemark steht jedoch zuerst der Abbau an. „Das komplette Skelett sitzt in Metallhalterungen“, sagt Franzi. „Das kann man sich wie ein Puzzle vorstellen. Dabei muss man mit den einzelnen Knochen sehr vorsichtig und langsam umgehen.“

Natürlich wird das Skelett ein ganzes Wochenende lang gebührend verabschiedet, mit freiem Eintritt ins Naturkundemuseum, Musik und einigem mehr. Franzi wird auch dabei sein.

Der Kaffee ist ausgetrunken, das Franzbrötchen fort. So wie es bald Tristan Otto sein wird.

„Aber er kommt ja wieder“, sagt Franzi und lächelt.”

– Selina Lux (Januar 2020) –

Selina Lux wurde 1993 in Berlin geboren, wo sie derzeit wieder lebt. Sie schreibt seit frühester Kindheit Geschichten und hat den Bachelor in Literaturwissenschaft gemacht. 2012 erschien ihr Roman “Aleyon – Der letzte Held“, gefolgt von “Kalt ist die Welt” in 2018.

Selina’s Bücher kann man hier erwerben:
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Franziska

I am a Vertebrate Paleontologist and Evolutionary Biology Master alumna of Freie Universität Berlin, with a strong interest in Education, Women in STEM, Science Communication, and International Relations in Higher Education. If you don’t find me tweeting about topics I care about, I am most likely busy planning my next travel adventure, taking photographs with my camera or reading a book somewhere in a coffee shop.